Streitbarer Umweltschützer, engagierter Heimatforscher, einfühlender Pädagoge — Peter Paul Schweitzer

Peter Paul Schweit­zer (1933 — 2024) ver­starb am 15. März 2024 mit 91 Jah­ren. Der Ver­lust schmerzt nicht nur sei­ne Familie.

BÜNDNIS´90/DIE GRÜNEN Hada­mar | Dorn­burg erin­nert an den ver­stor­be­nen Peter Paul Schweit­zer als einen wich­ti­gen Akti­vis­ten für Natur­schutz und Auf­klä­rer zur Erneue­rung des gesell­schaft­li­chen Lebens auf dem Land. Die Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de in der Stadt­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung, Sabi­ne Hir­ler, hat sei­ner Wit­we Irmi­gard in ihrem und Namen der Grü­nen Mit­ge­fühl und Respekt übermittelt.

Des­we­gen kann das Por­trät von Kers­tin Kamin­sky, das sie im Febru­ar 2022 aus Anlass der Über­ga­be der Hes­si­schen Ehren­ur­kun­de für Kunst und Kul­tur durch die dama­li­ge hes­si­sche Staats­se­kre­tä­rin Ayse Asar in dem Hes­si­schen Minis­te­ri­um für Kunst und Kel­tur schrieb, als Erin­ne­rung an sein Leben gele­sen werden:

Peter Paul Schweit­zer hat sich über Jah­re hin­weg mit der Geschich­te und dem Schick­sal der Hada­ma­rer Juden­schaft befasst. Unter sei­ner Mit­wir­kung ent­stand 1988 anläss­lich der fünf­zigs­ten Jah­re­s­er­in­ne­rung des anti­se­mi­ti­schen Novem­ber­pro­groms die ers­te, aus zeit­ge­schicht­li­chem Mate­ri­al erar­bei­te­te Doku­men­ta­ti­on. Eine aktua­li­sier­te und ergänz­te Fas­sung auf CD-ROM unter dem Titel „Juden im nas­saui­schen Hada­mar – Auf­stieg und Unter­gang“ ver­öf­fent­lich­te er 2006.

Die gesam­mel­ten Fak­ten las­sen auch die Kost­bar­keit der 1841 errich­te­ten Hada­ma­rer Syn­ago­ge erken­nen – dem ältes­ten, als sol­ches erbau­ten jüdi­schen Got­tes­hau­sees im Land­kreis Limburg-Weilburg.

Für sein Wir­ken wird dem 88-Jäh­ri­gen nun die Hes­si­schen Ehren­ur­kun­de für Kunst und Kul­tur ver­lie­hen. Auf­grund der Pan­de­mie erfolgt die offi­zi­el­le Über­ga­be vor­aus­sicht­lich im Frühjahr.

Ob er wohl in der Lage sei, alte Hand­schrif­ten zu lesen, wur­de Peter Paul Schweit­zer, Lei­ter der Hada­ma­rer Grund­schu­le, einst von sei­nem Kol­le­gen Bernd Ries gefragt. Die­ser streb­te die beruf­li­che Wei­ter­ent­wick­lung an und woll­te für sei­ne Erwei­te­rungs­prü­fung das Schick­sal der Hada­ma­rer abhan­deln. Da der heu­te 88-jäh­ri­ge Peter Paul Schweit­zer in sei­ner eige­nen Schul­zeit die Süt­ter­lin­schrift erlernt hat­te, erklär­te er sich gern behilflich.

Dass sein Ent­ge­gen­kom­men schließ­lich dazu führ­te, dass die bei­den Män­ner über Mona­te hin­weg vie­le Nach­mit­ta­ge in einem extra dafür aus­ge­räum­ten Kel­ler­raum arbei­te­ten, wo sich bald Ber­ge von Akten­ma­te­ri­al sta­pel­ten, hat­te Schweit­zer damals nicht geahnt.

Die Recher­che­ar­beit begann mit einer Ent­täu­schung. „Im Hes­si­schen Haupt­stadt­ar­chiv Wies­ba­den wur­den wir zunächst mit der lapi­da­ren Erklä­rung abge­wie­sen, dass im Zwei­ten Welt­krieg fast alle Juden­ak­ten ver­brannt sei­en“, erin­nert sich Schweit­zer. Soll­te das Pro­jekt schei­tern, noch ehe es ange­fan­gen hat? Glück­li­cher­wei­se erkun­dig­te sich ein zufäl­lig vor­bei­kom­men­der Mit­ar­bei­ter des Archivs, wor­um es den Her­ren kon­kret gehe. Sein Gesicht hell­te ich auf: „Hada­mar? Davon haben wir ganz viel!“, freu­te er sich. Denn die Nach­lass­ak­ten des Amtes Hada­mar waren durch aus­wär­ti­ge Lage­rung dem Schick­sal der meis­ten Juden­ak­ten entgangen.

Die Men­gen­an­ga­be „ganz viel“ war über­aus zutref­fend. Schier unend­li­ches Mate­ri­al aus den Jah­ren zwi­schen 1815 und 1862 gab es zu sich­ten, zu kopie­ren und im Ries’schen Kel­ler zu stu­die­ren. Hell­auf begeis­tert waren die bei­den Päd­ago­gen, als sie in den Akten sogar den Bau­plan der Hada­ma­rer Syn­ago­ge entdeckten.

Ein Vor­gang im Zusam­men­hang mit der neu errich­te­ten Syn­ago­ge lässt Peter Paul Schweit­zer noch heu­te schmun­zeln: Im eisi­gen Wes­ter­wald-Win­ter war den Kin­dern das Ler­nen in den nicht beheiz­ba­ren Räu­men der Syn­ago­ge unmög­lich. Also bat die israe­li­ti­sche Gemein­de den für die geist­li­che Schul­auf­sicht zustän­di­gen Pfar­rer um Erlaub­nis, den Unter­richt nach­mit­tags in die war­me Stadt­schu­le ver­le­gen zu dür­fen. Dem wur­de nicht stattgegeben.

So leicht ließ man sich jedoch nicht abwim­meln und hol­te die Geneh­mi­gung schließ­lich von der über­ge­ord­ne­ten Schul­be­hör­de in Wies­ba­den ein. Dort befand man, dass Reli­gi­ons­un­ter­richt ein unver­zicht­ba­res Staats­in­ter­es­se dar­stel­le, und des­halb nichts dage­gen­spre­che, wenn ein katho­li­scher und ein jüdi­scher Kin­der­po­po auf dem glei­chen Stuhl sitzt.

In dem Archiv­ma­te­ri­al ent­deck­ten Schweit­zer und Ries auch Tes­ta­men­te, die Auf­schluss zu den Besitz­tü­mern der Hada­ma­rer Juden gaben. „Am Schöns­ten fan­den wir jedoch das in höchs­ten Tönen for­mu­lier­te Leu­munds­zeug­nis des dama­li­gen Hada­ma­rer Bür­ger­meis­ters für einen jüdi­schen Mit­bür­ger“, erin­nert sich der 88-Jäh­ri­ge und auch, dass die Akten so gut wie nichts an Beschwer­den oder zu Straf­pro­zes­se her­ga­ben. „Das zeigt doch, dass die Juden Hada­mars – ent­ge­gen der ver­ächt­li­chen Nazi-Pro­pa­gan­da — durch­weg recht­schaf­fen­de Leu­te waren“, resü­miert er.

Das Lebens­werk von Peter Paul Schweit­zer beschränkt sich nicht auf die For­schung zur Geschich­te des jüdi­schen Lebens in der Fürstenstadt.

Zwi­schen 1998 und 2003 erar­bei­te­te er eine Samm­lung alt­deut­scher Wor­te, Namen und Begrif­fe aus den Gebie­ten rechts und links der Lahn – einer Regi­on, die seit frü­hes­ten Zei­ten immer wie­der wech­seln­den sprach­ge­schicht­li­chen Ein­flüs­sen aus­ge­setzt war. Aus die­ser For­schung resul­tiert eine seit 2004 fort­wäh­ren­de Arti­kel­rei­he von Orts­na­men­deu­tun­gen im Jahr­buch des Land­krei­ses Limburg/Weilburg.

In den 1980er Jah­ren ver­fass­te er Streit­schrif­ten gegen den Bau einer ato­ma­ren Wie­der­auf­be­rei­tungs­an­la­ge in Merenberg/Waldbrunn sowie zu den Umwelt­be­las­tun­gen der Son­der­müll­de­po­nie in Lim­burg-Off­heim. Außer­dem wirk­te er 15 Jah­re lang im Natur­schutz­bei­rat des Land­krei­ses Lim­burg-Weil­burg mit.

In sei­nem Berufs­le­ben, das 1955 als Leh­rer an der zwei­klas­si­gen Volks­schu­le Han­gen­mei­li­gen begann, setz­te sich Schweit­zer stets für eine Päd­ago­gik im Sin­ne der kind­li­chen Bedürf­nis­se ein. An der von ihm gelei­te­ten Grund­schu­le ver­such­te man, die Kin­der sowohl indi­vi­du­ell als auch gemein­schaft­lich opti­mal zu för­dern und ging dabei auch unge­wöhn­li­che Wege, indem bei­spiels­wei­se die strik­te Klas­sen­ein­tei­lung nach Alters­stu­fen zuguns­ten von Leis­tungs­kur­sen auf­ge­löst wurde.

Über sich selbst sagt Peter Paul Schweit­zer: „Der Kern aller mei­ner ver­schie­de­nen Tätig­kei­ten, Inter­es­sen und Enga­ge­ments war prak­ti­scher Natur: In dem 40 Jah­re lang mit Begeis­te­rung aus­ge­führ­ten Beruf des Leh­rers und Erzie­hers waren es vor allem die unge­lös­ten Pro­ble­me ande­rer, die mich reiz­ten, etwas zu deren Lösung beizutragen.“

Peter Paul Schweit­zer wur­de am 2. Mai 1933 in Lim­burg gebo­ren. Nach dem Abitur 1952 stu­dier­te er Erzie­hungs­wis­sen­schaf­ten am Päd­ago­gi­schen Insti­tut Weil­burg. Sei­ne ers­te Anstel­lung als Leh­rer bekam er an der Volks­schu­le Han­gen­mei­lin­gen, par­al­lel enga­gier­te er sich im dor­ti­gen Land­schul­heim Vogt.

Im Som­mer 1955 hei­ra­te­te Peter Paul Schweit­zer. Mit sei­ner Gat­tin Irmin­gard hat er fünf Kin­der. Um das schma­le Leh­rer­ge­halt auf­zu­bes­sern, schrieb er ab 1957 als frei­er Mit­ar­bei­ter Arti­kel für die Kir­chen­zei­tung „Der Sonn­tag“ wie auch für die „Nas­saui­sche Landeszeitung“.

Von 1962 bis zu sei­ner Pen­sio­nie­rung im Jahr 1995 lei­te­te Schweit­zer die Volks­schu­le Nie­derha­da­mar, wel­che 1970 zur Grund­schu­le umge­wid­met wur­de. Eines sei­ner Her­zen­pro­jek­te war der zwei Jah­re andau­ern­de Schul­ver­such „Hil­fen für Ver­sa­ger in der Grund­schu­le“, des­sen Ergeb­nis er 1972 dem Schul­amt und dem Regie­rungs­prä­si­den­ten vor­le­gen konnte.

Chris­toph Spei­er (OV Hadamar)